Werkstätten der Demokratie statt neoliberale Logik

Ein Standpunkt von Wendelin Haag, Bundesleiter der Naturfreundejugend Deutschlands

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Am Anfang der Corona-Krise schienen die ersten Verantwortlichen schnell gefunden: Kinder und Jugendliche mussten doch „Super-Spreader“ sein. Die einen, weil symptomfrei und distanzlos, die anderen wegen – na klar – all der Coronapartys. Dass es so dann doch nicht war, sollte sich noch herausstellen.

Der Bundesleitung der Naturfreundejugend fiel dabei auf: Die gleichen Politiker*innen, die sich nun auf dem Rücken von jungen Menschen als „entschiedene Krisenmanager“ profilierten, hatten mit ihrer Privatisierungs- und Austeritätspolitik zuletzt dafür gesorgt, dass die Rahmenbedingungen zur Corona-Bekämpfung so viel schlechter geworden waren.

Die neoliberale Logik des Verwertens und Verzweckens dominiert während der Pandemie auch im Diskurs über Kinder und Jugendliche. Dass Heranwachsende im Homeoffice der Eltern stören, hatte man ja nun oft genug in Videokonferenzen gesehen. Vielleicht sollten junge Menschen auch deshalb fremdbestimmt zu gesellschaftlichen Pflichtdiensten herangezogen werden, selbst aus Freiwilligendiensten.

Jugendverbände und -ämter dagegen machten auf ganz andere Punkte aufmerksam, etwa die gefährliche Lage für junge Menschen in prekären Lebenslagen. Für die fand nämlich plötzlich keine Kinder- und Jugendarbeit mehr statt und Hilfesysteme wurden eingeschränkt. Besonders hart trifft die Pandemie die in Armut lebenden Kinder und Jugendlichen, die mit minimalen Ressourcen auf kleinstem Wohnraum auskommen müssen. Soforthilfen blieben hier aus.

Den gleichen Mustern folgt die Öffnungsdebatte. Wieder werden junge Menschen weder einbezogen noch ihre Bedürfnisse berücksichtigt. Die Abschlussjahrgänge? Schnell wieder in die Schulen! Prüfungen? Auch gegen den Protest der zu Prüfenden! Kinder müssen doch für die nächsthöhere Lehranstalt und Jugendliche für den Arbeitsmarkt fit gemacht werden! Und dann wollten etliche Kultusminister*innen auch noch die Sommerferien verkürzen. Die letzten selbstbestimmten Freiräume, nach Monaten der Isolation! Damit rührten sie an einem Tabu.

Denn für junge Menschen sind diese Freiräume außerhalb von Schule, Ausbildung, Studium und Beruf von großer Bedeutung. Hier finden wir Naturerlebnis und Erholung, hier finden wir Gemeinschaft. Nur hier können wir selbst organisiert unseren Prioritäten folgen: zum Beispiel Klimaschutzdemos organisieren, politische Bildungsarbeit vorantreiben, Gedenk- und Erinnerungsarbeit gestalten. Hier haben wir uns zu Umweltschützer*innen, zu Demokrat*innen und zu Antifaschist*ischen entwickelt. Hier setzen wir den Mühlen des Kapitalismus unsere Werkstätten der Demokratie entgegen.

In den letzten Monaten waren für uns der Klimastreik, der Tag der Arbeit und der Tag der Befreiung bedeutsam. Über Generations- und Verbandsgrenzen hinweg haben wir digital partizipiert. Der 8. Mai hat uns dabei erneut bewusst gemacht, dass „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ eine Verpflichtung ist, für die wir uns stetig einsetzen müssen. Die Räume dafür werden wir uns notfalls erkämpfen.

Wendelin Haag
Bundesleiter der Naturfreundejugend Deutschlands