Uns schützt kein Blechkleid

Als passionierter Radler in der Bundeshauptstadt Berlin unterwegs

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Vor einigen Jahren traf es einen Ingenieur aus meinem Bekanntenkreis. Er pendelte regelmäßig mit dem Fahrrad vom Vorort Kleinmachnow nach Berlin-Mitte. Ein Lkw-Fahrer übersah ihn beim Rechtsabbiegen und beendet sein Leben jäh. Ich selbst hatte im vergangenen Jahr an einer Kreuzung zweier vierspuriger Straßen Glück: Als die Ampel auf Grün sprang, hielt links von mir ein großer Lieferwagen, um den geradeaus fahrenden Radfahrer durchzulassen. Hinter dem Lieferwagen schoss jedoch ein Pkw hervor, der von der mittleren Spur aus nach rechts abbiegen wollte. Mein Vorderrad traf gottlob genau die Radkappe des Pkw und prallte von dort zurück. So blieb ich unverletzt. Der Pkw fuhr ohne abzubremsen weiter, nur die Radkappe lag auf dem Asphalt.

Auf der gleichen Fahrt durch Berlin nahm mir danach ein Autofahrer an einer normalen Rechts-vor-links-Kreuzung die Vorfahrt. Beim Linksabbiegen von einer schmalen in eine Vorfahrstraße überholte mich schließlich noch ein Pkw-Fahrer derart, dass ich nach dem Antreten nur noch abspringen konnte.
Er hatte sich nicht hinter mir, sondern rechts neben mir eingeordnet, wollte ordentlich beschleunigen und beim gemeinsamen Linksabbiegen rechts an mir vorbeiziehen.

naturfreundin_1-22-1_titel_klein.pngDie Märzausgabe 2022 des NaturFreunde-Mitgliedermagazins NATURFREUNDiN hat sich in der Titelgeschichte mit dem Radfahren beschäftigt.

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In Berlin sollten Radfahrer*innen stets Licht anschalten, Warnweste und Helm tragen und immer damit rechnen, von abbiegenden Autofahrer*innen übersehen zu werden. Wenn die Ampel auf Grün springt, kann die Radfahrer*in erst richtig in die Pedale treten, wenn der oder die Autofahrer*in nebenan nach dem Anfahren wieder stoppt oder abbremst oder wenn es Augenkontakt gegeben hat. Anderes ist zu riskant.

Konflikte zwischen Autofahrer*innen und Radler*innen um den Verkehrsraum gehören zum Alltag. Radfahrer*innen, die die regelmäßig holprigen und kaum befahrbaren Radstreifen auf Gehwegen nicht benutzen, werden angehupt oder vom Autofahrenden beim Überholen durch das offene Autofenster angeschrien. Natürlich wäre es sinnlos, die fällige Antwort hinterherzurufen: Dass Radfahrer*innen die Wahl zwischen Straße und Fahrradstreifen auf dem Gehweg haben, solange kein blaues Schild einen Radweg ausweist. Dass der Autofahrer (meist männlich) Radfahrer*innen zum Schleichen auf dem durch Baumwurzeln holprigen Radstreifen zwingen will, nur um selbst schneller voranzukommen.

In der Regel lohnt es nicht, mit dem Rad weit rechts am Straßenrand zu fahren. Autofahrende sehen dies als Aufforderung zum engen Überholen ohne Sicherheitsabstand an. Auf den maroden Berliner Straßen haben Radler*innen oft Schlaglöcher am Rand zu umkurven. Auch das macht sie bei Autofahrer*innen unbeliebt, die selbst durch Löcher fahren und in 30er-Zonen auch flinkste Radler*innen überholen müssen.

Wenn morgens Ottomotoren kalt sind und Diesel mithilfe ihrer Abschalteinrichtungen ungefiltertes Abgas ausstoßen, werden die Atemwege von Radfahrer*innen besonders strapaziert. Nebenstraßen, die Radler*innen aus Rücksicht auf ihre Lungen bevorzugen, sind oft nur einspurig befahrbar, weil auf einer Seite in Reihe parkende Autos stehen. Wer die nicht zugeparkte Spur befährt, hat Vorrang. Allerdings können Radfahrer*innen nicht darauf setzen, dass entgegenkommende Autofahrer*innen den Vorrang stets gewähren und die Radler*innen nicht an den Rand drängen oder gar zum Absteigen nötigen.

Noch mehr als andere Verkehrsteilnehmer*innen sind Radfahrer*innen auf Einhaltung der Regeln angewiesen. Schließlich sind sie ohne schützendes Blechkleid unterwegs. Allerdings kann ruhigen Gewissens Verkehrsvorschriften nur einklagen, wer sie selbst einhält. Für viele Berliner Radfahrer*innen heißt dies, Radwege künftig nur in der vorgesehenen Richtung zu benutzen, den Fußweg nicht zum Radweg zu machen, an Bushaltestellen nur im Schritttempo rechts vorbeizufahren und vor allem an roten Ampeln auch stets anzuhalten.

Jürgen Voges